Schmiedeeisensommer
Puh, ich sag's euch, dieses Buch hat mich gut unterhalten - aber auch gewaltig herausgefordert.
Es geht um Pauline, Nini genannt, die einen reichen Investor heiratet, ja heiraten muss, um ihre Familie vor dem Ruin zu bewahren.
Ich liebe Bücher, in denen es um eine Zweckehe geht. Doch dieses ist völlig anders gewesen.
Nini glaubt an Gott, während Jakob, der, als Pflegesohn, in einem jüdischen Haushalt aufgewachsen ist, das Ganze eher skeptisch betrachtet.
Ninis Glaube war aber eher ein traditioneller Lebensstil und keine persönliche Beziehung zu Gott. 1860 gehörte es einfach zum guten Ton gläubig zu sein und doch scheint sie ehrlich am christlichen Glauben interessiert.
Auch sonst ist das Leben der damaligen Zeit, sowohl im praktischen als auch in der Denkweise sehr ehrlich und offen beschrieben. Genau da fingen aber meine Schwierigkeiten mit dem Buch an.
Jakobs Pflegebruder ist geistig behindert und auch wenn ich weiß, dass es damals normal war, die Menschen grob und erniedrigend mit unfreundlichen Worten zu benennen, fand ich es schwierig in dem Zusammenhang die Worte "schwachsinnig und Idiot" zu lesen.
Auch die Ablehnung der Juden, wenn sie einem nicht persönlich nützen, gehörte zum Alltag und schwingt mal mehr, mal weniger deutlich durch die Zeilen.
Obwohl mich diese Punkte irritiert haben, konnte ich sie aber aufgrund der Zeit, in der die Geschichte spielt, so stehen lassen.
Ein Punkt hat mich aber gewaltig gestört und das war die Art wie Männer gesehen wurden.
"Meine Mutter sagt, dass Männer über ihre Begierde alles andere vergessen. Deshalb muss es auch die Frau sein, die ihnen Grenzen setzt."
Im Roman werden Männer an einigen Stellen fast schon wie Tiere dargestellt und körperliche Nähe, sei es Küsse oder der Geschlechtsverkehr als unangenehm und eklig beschrieben. Sicher, es kann so sein - trotzdem hatte ich damit ein Problem.
Ja, die unverheirateten Frauen der damaligen Zeit waren extrem unwissend, was den Geschlechtsverkehr angeht. Dieses Thema scheint der Autorin irgendwie besonders wichtig gewesen zu sein. Es ging gefühlt ständig darum "dass man nicht weiß, was in der Hochzeitsnacht geschieht", dass man am Tage nicht über das redet, was in der Nacht passiert und dass man darauf wartet, dass der Gatte ins Schlafzimmer der Frau kommt. Ja, es hat mich sehr gestört, auch ohne Sexszenen ging es ständig um Sex.
Was ich allerdings spannend fand ist, dass Ursula Schröder die Anfänge der Brüderbewegung in diesem Roman eingearbeitet hat.
Es war interessant zu lesen, wie eifrig einige Christen Gottes Wort einsogen, um dann aber wieder sehr gesetzlich und kurzsichtig zu handeln. Der Unwille der Kirche über die neuen Gemeinden, die Vorbehalte der Gesellschaft gegenüber diesen Menschen und der Spott, aufgrund vieler Regeln sie sich die "neuen Christen" auferlegten, war spannend beschrieben.
Die Message des Buches "dass das Leben unsere Persönlichkeit formt wie Eisen, wenn es geschmiedet wird", kam nicht so klar zum Ausdruck. Sie wurde an zwei Stellen überdeutlich genannt, aber es wirkte wie eingeschoben, damit es zum Titel passt.
Trotzdem habe ich das Buch gerne gelesen, es war interessant, es gab tolle und originelle Charaktere und es gibt Einblicke in das mögliche Gedankengut und die Lebenseinstellung des 19. Jahrhunderts.
Auch wenn ich am Ende etwas ratlos war, ist dieses Buch schon mal ein Erfolg, weil ich die längste Rezi aller Zeiten geschrieben habe =)